Sibylle zitiert im Falter Newsletter von Gerhard Stöger
Immer Ärger mit dem Amadeus
Am 26. April wird im Volkstheater der österreichische Musikpreis Amadeus vergeben, das Voting dafür läuft noch bis 19. März. Die Nominierungen sorgen aber einmal mehr für Kopfschütteln
GERHARD STÖGER
VERSENDET AM 13.03.2024
Bipolar Feminin: Band des Jahres, Album des Jahres, Liveact des Jahres. Allerdings nicht für den Amadeus, da ist die Band nur in zwei Trostpreis-Kategorien nominiert (Foto © Apollonia Theresa Bitzan)
Ungefilterte Emotionen sind oft ein Problem. Manchmal aber auch eine tolle Sache. So wie im aktuellen Newsletter von Sibylle Kefer, einer österreichischen Musikerin, die wir hier im FALTER sehr schätzen.Speziell auch ihr aktuelles Album „Hoid“, es landete in den Top drei unserer Pop-Jahrescharts 2023.
Sie sei gerade im Kino gewesen und habe endlich Katharina Mücksteins Film „Feminism WTF“ gesehen, schreibt die Musikerin. Noch ganz aufgekratzt davon hätte sie sich anlässlich des 8. März dann die diesjährigen Nominierungen für den Amadeus-Musikpreis genauer angesehen. „Meine Musik ist nicht dabei, ich hätte es dem Album gegönnt und auch gefunden, dass es nicht abgehoben ist, es sich vorzustellen“, schreibt sie. Stimmt, „Hoid“ zählt mit zum Besten, das die österreichische Singer/Songwriter-Szene in den letzten Jahren hervorgebracht hat.
„Aber macht nichts. Das geht vielen anderen genauso und das ist nicht der Punkt“, meint Kefer in der ihr eigenen Bescheidenheit weiter. „Ich habe aber einen Punkt: Das Geschlechterverhältnis der Nominierten ist dermaßen oag, dass es mir auch ohne den Besuch der tollen Dokumentation den Magen ausgehoben hätte.“
Sibylle Kefer ist also grantig. Völlig zurecht, kann ich dazu nur sagen – und schön, dass sie diesen Grant mit uns teilt. Der Amadeus ist Österreichs einziger relevanter Preis für populäre Musik. So etwas wie der österreichische Grammy, heißt es bisweilen. Was schon stimmt – wenn der Leberkas-Pepi so etwas wie der österreichische McDonald’s ist (das ist jetzt ein bisschen unfair dem Leberkas-Pepi gegenüber, aber Sie verstehen, was ich meine, oder?). Witzeleien bringen uns freilich nicht weiter, denn es gibt nun einmal nur diesen Austro-Musikpreis. Also versuchen wir, ihn ernst zu nehmen. Und wer ernst nimmt, kritisiert eben auch.
Kefers Kritik greift in meinen Augen zu kurz, sie sieht das Problem rein durch die Geschlechterbrille: Zu viele Männer im Business würden für zu viele Männer in der Auslage sorgen; dem Amadeus liege ein „männerdominiert geprägter Geschmack“ zugrunde. Tatsächlich ist die Jury auf der Amadeus-Website einsehbar; ziemlich genau 40 Prozent der Expert:innen sind weiblich. Keineswegs optimal, für den jahrzehntelang extrem männerlastigen Musikbereich aber nicht ganz schlecht.
Zur Erklärung: Initiiert vom Verband der Österreichischen Musikwirtschaft (Ifpi) wird der Amadeus seit dem Jahr 2000 in verschiedensten Kategorien vergeben. Das Prozedere ist nicht unkompliziert. Zu einem Drittel zählen die Verkaufszahlen, zu einem Drittel zählt die Meinung einer Fachjury und das letzte Drittel entfällt aufs Online-Voting des Publikums, das noch bis 19. März um 12 Uhr läuft. Pro Kategorie gibt es fünf Nominierte.
Natürlich votiert nicht jedes Mitglied der Fachjury in allen Kategorien, sondern nur in jenen, für die es als kundig gilt. Wer diese Fachjury allerdings zusammenstellt und wer den ausgewählten Personen welche Befähigung zuspricht? Man weiß es nicht. Die Jury besteht halt aus Leuten, die hierzulande irgendwas mit Musik zu tun haben. Journalist:innen, Veranstalter:innen, Branchenmenschen. Wichtiger als die Frage, wie viele Frauen in der Jury sitzen, scheint mir, nach welchen Kriterien diese Jury zusammengestellt wird und was die jeweilige Qualifikation ihrer Mitglieder ist.
Ein weiteres Amadeus-Problem sind die Genre-Kategorien. „Pop“ im Amadeus- respektive Ifpi-Sinne ist vornehmlich austauschbare Formatradiomusik, die Internationales mehr oder weniger gelungen korrigiert, sowie Neo-Austropop, an dem erfolgsbedingt kein Weg vorbei führt (Stichwort: Seiler & Speer). Wirklich interessante Popmusik landet vornehmlich in Kategorien wie „Alternative“, „HipHop/Urban“ oder, völlig grotesk, „Jazz/World/Blues“.
Denn ja, Sigrid Horn, wie Sibylle Kefer eine großartige Songwriterin, scheint diesmal tatsächlich in der letztgenannten Kategorie auf. Jazz und Blues macht sie keinen, „World“ nur insofern, als ihr Gesang im Dialekt gehalten ist. Was es in dieser Kategorie auch heuer nur in Spurenelementen gibt, sind übrigens, Sie ahnen es vielleicht schon: Jazz, World und Blues.
Theoretisch würde der Amadeus ja eine gewisse Vielfalt erlauben, praktisch aber schlägt sich meist nur mehr wenig dessen auch in den Auszeichnungen nieder, was österreichischen Gegenwartspop aufregend macht. Einzelne Amadeus-Kategorien, heuer allen voran „HipHop/Urban“, bieten tatsächlich eine gute Fünferauswahl. Gleich vier Frauen sind hier vertreten (gewinnen wird wie immer der unvermeidliche Macho-Ödbär Raf Camora, aber das ist wieder ein anderes Thema).
Um hier mit offenen Karten zu spielen: Ich gehöre der ominösen Amadeus-Fachjury seit vielen Jahren selbst an. „Jury“ heißt, dass man online seine drei Nominierung eintippt; für die Denkfaulen einfach nur per Klick aus einer bereitgestellten (aber häufig unvollständigen Liste) an Veröffentlichungen ausgewählt.
Anders als diverse geschätzte Journalismus-Kolleg:innen habe ich mir Hohn und Spott zum Amadeus meist verkniffen und die Jury-Einladung eben nie ignoriert. Lieber mitbestimmen als motschgern, fand ich immer. Als Album des Jahres habe ich diesmal Bipolar Feminin vor Sibylle Kefer und Buntspecht nominiert; meine Liveact des Jahres sind Bipolar Feminin, Bilderbuch und Voodoo Jürgens, und in der Kategorie Rock/Pop sind meine Top drei Anna Mabo, Buntspecht und wiederum, allen voran, Bipolar Feminin, weil sie als Herzenspunks zwar aus der Nische kommen, aber über Massenappeal verfügen.
Bipolar Feminin sind immerhin für die Trostpreise „Alternative“ und „FM4 Award“ nominiert, alles andere kommt beim Amadeus 2024 erst gar nicht vor. Weil Geschmäcker eben verschieden sind? Ja, eh. Vor allem aber, weil dem Amadeus ernsthafte Auseinandersetzung mit Popkultur ebenso fehlt wie ein Interesse am Diskurs darüber. Anders ausgedrückt: Man muss kein Bilderbuch-Fan sein, um anzuerkennen, dass sie live in einer eigenen Sphäre spielen – um hier nur das Offensichtlichste anzusprechen.
Wie Sibylle Kefer ziehe ich aus dem aktuellen Amadeus-Dilemma meine Schlüsse. Weniger grantig und kampfeslustig, wie sie, sondern eher resigniert und auf seltsame Weise belustigt. Die Moral von dera Gschicht? 2025 werde ich den Kelch Jury-Teilnahme wohl erstmals an mir vorübergehen lassen.
Ihr Gerhard Stöger